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Klagen aus dem Oelgebiete (1909)

Aus einem anonymen Schreiben an die Cellesche Zeitung vom Frühjahr 1909 (Kreisarchiv Celle):

Ueber Zustände, die in letzter Zeit ins Unerträgliche gewachsen sind, klagen sämtliche hiesigen Einwohner. Die Zahl der „Damen“, die an den Lohntagen der Arbeiter nach hier kommen, um diese an den Freuden der Halbwelt teilnehmen zu lassen, wächst in jeder Woche. Solange nur einige nach hier kamen, liessen sich die Einwohner diesen Zustand stillschweigend gefallen, da sie glaubten, die Prostitution liesse sich nun einmal nicht aus der Welt schaffen. Nun müssen aber diese Damen, die an einem solchen Tage 60 bis 80 Mark aus dem Oelgebiete mit nach Hause nahmen, unter ihren Kolleginnen ausgeplaudert haben, welche Goldgrube sich hier in Wietze für ihr liderliches Handwerk befindet, denn es trafen an dem betreffenden Tage in jeder Woche wieder mehr Frauenzimmer ein. In letzter Zeit sind nun aber Zustände heraufbeschworen, die unhaltbar geworden sind; deshalb sind wir hier gezwungen, die Oeffentlichkeit auf diese Zustände aufmerksam zu machen. In letzter Woche waren 16 bis 18 Damen hier, von denen die hübschesten und frechsten eine schwere Tasche voll Geld mit nach Hause nahmen. Sie kamen aus Hannover, Braunschweig und Hamburg.

Von verschiedenen Stellen sind diese Damen nun durch das energische Eingreifen einiger Frauen, die ihre Männer wohl im Verdachte hatten, vertrieben. Jetzt zogen die meisten Prostituierten nach der Strasse, welche zwischen der Celler-Eystruper Landstrasse und dem hiesigen Bahnhofe liegt, und am Hotel „Glück Auf" vorbeiführt. Diese Strasse, die vor ca. 3 bis 4 Jahren gebaut und von dem Landkreise Celle übernommen wurde, ist nämlich die einzige Strasse in Wietze, die vollkommen ohne Beleuchtung ist. In der hier beschriebenen Strasse haben nun die meisten „Damen“ ihr „Geschäftslokal“ errichtet, natürlich ohne Laden und Wohnung an allen Ecken und Winkeln ja selbst auf einem Platze, wo sonst nur Oelwagen stehen, kann man sie an den betreffenden Tagen antreffen. Die wahren Zustände hier niederzuschreiben, verbietet der Anstand. Da nun die Anhänger dieser Damen, die sich auf diesen Tag wie auf ein Fest freuen, nicht gleich die „richtigen Damen" unterscheiden können, so ist es in letzter Zeit vorgekommen, dass anständige Frauen und deren Töchter in der unerhörtesten Weise angegriffen wurden. Unter dem Schutze der Dunkelheit in der hier erwähnten Strasse sind Sachen vorgekommen, die jeder Einwohner hier in Wietze kennt, die aber jeder Beschreibung spotten. So bekam in letzter Zeit eine der Damen von einem Arbeiter ein paar gehörige Backpfeifen, weil sie von ihm für den kurzen Wahn 4.– Mark genommen hatte, während sie einem Freunde, der das Handeln besser verstanden hatte, die gleiche Arbeit für 40 Pfennig geliefert hatte. Es kommen aber auch Dinge vor, die jedem anständigen Menschen die Schamröte ins Gesicht treiben. So traf ein hiesiger Einwohner an einem solchen Tage zwei Kinder an, die einem Frauenzimmer bei ihrer liderlichen Beschäftigung mit einem Verehrer aus der nächsten Nähe zusahen. Zweck dieser Zeilen soll sein, Jedermann auf die unhaltbaren Zustände aufmerksam zu machen; denn nur dadurch kann den Damen das Handwerk hier gelegt werden.

 

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